Interview mit der Angst
Komm herein liebe Angst, setz dich zu uns und erzähle uns von dir. Seit wann gibt es dich denn eigentlich?
Nun, mich gibt es seit Anbeginn der Zeit. An meine Geburt kann ich mich jedoch – wie wohl auch ihr Menschen – nicht erinnern.
Dann bist du schon sehr alt. Bist du etwa unsterblich?
Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich werde so lange leben, wie ich gebraucht werde.
Ach, du gehst also nur dahin, wo du gebraucht wirst?
Ja. Wenn ihr keine Angst hättet, würdet ihr wohl nicht sehr lange leben (kichernd). Meistens nehme ich zur Unterstützung den Schmerz mit, damit ihr euch an lebensbedrohliche Situationen wirklich gut erinnern könnt.
Wie meinst du das? Kannst du das bitte noch etwas genauer erklären?
Na, du weißt doch auch, dass man eine Herdplatte nicht anfasst, oder? Also..., das hoffe ich zumindest.
Ja. Aber so richtig verstehe ich trotzdem noch nicht, warum du mit dem Schmerz zusammen arbeitest.
Wir arbeiten ganz erfolgreich zusammen. Also, wenn du das erste Mal eine Herdplatte anfasst, wird das Gewebe deiner Haut gereizt. Dieser Reiz wird über die Nerven an deinen Kopf geschickt. Dort erst werden der Schmerz und die Empfindung dazu wach gerufen. Diese Empfindung bin dann ich. Und bevor du ein weiteres Mal die Herdplatte anfasst, bin ich zur Stelle und warne dich. Ich glaube, ihr nehmt mich dann oft schon unbewusst wahr.
Hm, dann ist deine Existenz ja durchaus sinnvoll und gut. Tatsächlich kann ich mich bei dir ja dann bedanken, dass es dich gibt.
Oh, das freut mich sehr zu hören. Ich bin nicht sehr beliebt und muss manchmal sehr aufdringlich werden. Das macht mir eigentlich keinen Spaß.
Aber, wenn du nur kommst, wenn du gebraucht wirst, weshalb besuchst du auch die Frauen bei der Geburt und auch schon vor der Geburt so oft? Mit einer Geburt entsteht neues Leben und Angst hat man doch eher, wenn das Gegenteil passieren könnte, oder?
Endlich mal eine interessante Frage. Das Interview beginnt, mir Spaß zu machen. Nun, warum ich auch werdende Mütter aufsuche, ist eine lange Geschichte. Vor vielen Jahren, es muss kurz nach Christi gewesen sein, da wurde mir ein riesengroßer generationsübergreifender Sammelauftrag erteilt. Schmerz und ich haben zu dieser Zeit im Akkord gearbeitet und das ein paar Jahrhunderte. Irgendwelche wichtigen Menschen haben Gott nicht richtig verstanden und gemeint, dass nur sie dazu berufen sind, Menschen gesundheitlich beizustehen. Und sie glaubten und erzählten auch, dass der Schoß einer Frau unrein sei. Das ist natürlich völliger Quatsch! Doch sie erließen sie ein Gesetz, dass allen Menschen verbot, einer Gebärenden zu helfen. Inzwischen wisst ihr ja, dass bei der Geburt Ruhe, Vertrauen und liebe Menschen um euch herum sehr wohltuend sind. Doch damals riefen die Gebärenden nach mir. Denn niemand außer Schmerz und mir waren da. Leider konnten wir all diesen Frauen nicht helfen. Doch allein lassen konnten wir sie auch nicht, zumal wir nicht ohne Erlaubnis gehen dürfen. Ich war mir damals schon sicher, dass Vertrauen und Liebe hier viel bessere Partner gewesen wären.
Ein paar Jahrhunderte später war es nicht mehr verboten, Schwangeren und Gebärenden zu helfen, doch es galt als unehrenhaft. Schmerz und ich waren jedoch glücklich und hoffnungsvoll, da es nun Kliniken gab, in die die Frauen gehen sollten, um ihr Kind zu bekommen. Sie waren also nicht mehr allein und da dachten wir, unsere Arbeit sei endlich getan. Doch da lagen wir falsch. Die Mediziner waren zu neugierig und hielten die Frauen mit ihrer Doktorei und allerlei Medizin eher von der Geburt ab als sie zu unterstützen. Forschung in allen Ehren, doch Experimente an gebärenden Frauen hatten einen hohen Preis. Es starben dadurch auch wieder sehr viele … Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine furchtbare Zeit, die sich tief in den Frauen verankerte.
Das klingt wirklich fürchterlich. Diese Experimente klingen nach einem fiktiven Film über Arm und Reich.
Oh, diese Experimente erfolgten nicht nur bei der "Unterschicht". Es gab auch bei den Mätressen des Königs keine Ausnahmen. Irgendein Sunny Boy König bestand aus Neugier darauf, dass Frauen beim Gebären auf dem Rücken liegen sollen, um dabei zusehen zu können. Das war zu der Zeit besonders hip. Doch körperlich ist diese Haltung in den meisten Situationen genauso dämlich wie Bananen in Plastikfolie. Denn in dieser Stellung auf dem Rücken liegend, ist es viel anstrengender und langwieriger, ein Kind zu bekommen. Aber das hat den Frauen niemand gesagt. Vermutlich wusste es auch niemand.
O Gott o Gott, das klingt ja fürchterlich.
Ja, das stimmt. Doch mit Gott hat das nix zu tun. Im Gegenteil. Wusstest du eigentlich, dass der Vers aus der Bibel, in welchem steht, dass Frauen unter Schmerzen Kinder gebären sollen, falsch ist?
Was? Bibel und falsch?
Nur falsch übersetzt.
Ach, das wusste ich nicht. Wie ist denn die richtige Übersetzung?
Frauen sollen unter großer Anstrengung Kinder gebären. Ihr braucht also Kraft, aber von Schmerz und mir war nie die Rede. Und, wenn ich mich nicht irre, hat jede Frau diese Kraft von der Natur aus schon in sich.
Dann gehören Geburt und du gar nicht zusammen?
Nö. Vor dieser ganzen schrecklichen Zeit hatten Schmerz und ich gar nichts mit Geburten am Hut. Die Frauen gebaren ihre Kinder friedlich, sie bewegten sich dabei, hörten auf ihren Instinkt – oder, wie ihr so niedlich dazu sagt – auf den Bauch – und sie waren einfach glücklich. Zwar oft auch echt knülle, denn es scheint wirklich recht anstrengend zu sein, doch sie waren glücklich und es gab ganz selten Anlass, mich zu rufen.
Aber warum bist du dann bei den Schwangeren, um noch mal auf meine Frage zurückzukommen?
Ja, so richtig weiß ich das gar nicht. Heutzutage seid ihr ja nicht allein. Ich vermute, dass das in so einer Art Erbinformation bei euch verankert ist. Mein ganzes Tun von damals fühlt ihr immer noch und damit ruft ihr mich und den Schmerz unbewusst.
Ach so, du meinst wir sind selber schuld, wenn es weh tut? Du spinnst wohl!
Hey, kannst du bitte die Pistole wieder runter nehmen?
Danke.
Schuld? Das ist ein blödes Wort, was ihr erfunden habt und mit dem ich nichts anfangen kann. Ich meine, dass ihr mich und den Schmerz nicht braucht. Jedoch ruft ihr uns, wenn auch wohl unbewusst. Und wenn uns keiner gehen lässt, müssen wir bleiben.
Würdet ihr denn gehen?
Ja. Sogar sehr gern. Denn Geburten sind eigentlich so gar nicht unser Ding. Wir sind lieber in Afrika. Da, wo es schön warm ist. Und bevor uns zu langweilig wird, springt ab und zu – so einmal im Jahr vielleicht – tatsächlich ein Löwe aus dem Gebüsch.
Oh. Dann danke ich dir, liebe Angst. Das war sehr lehrreich und interessant. Ich buch dir gleich ein Ticket nach Afrika. Oh, toll. Dein Flug ist gerade im Angebot.
https://www.anjadorn.de/buchung/hypnobirthing/
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